K a p i t e l N e u n u n d z w a n z i g
- Sergej Loksnikov
- Feb 26, 2015
- 2 min read
Da war es wieder, dieses drückende Bauchgefühl. Wönkelmeyer kannte es aus seiner frühen Kindheit, als die größeren Kinder ihn an seinen Schnürsenkeln mit der Hängebrücke verknüpft hatten. Die Situation erschien ihm ausweglos. Einerseits wollte er schnellstmöglich raus ins Freie, andererseits war ihm bange bei dem Gedanken den kleinen Pieter, der offensichtlich im Drogenbusiness war, zwecks Türöffnung aus dem Schlaf zu reißen. Drogenpieter.
Verzweifelt trat Wönkelmeyer den Rückzug ins Wohnzimmer an, um auf dem Sofa seine Gedanken zu ordnen.
"Ey! Lass Milchi in Ruhe!", blökte es plötzlich aus der anderen Ecke des Raumes.
Wönkelmeyer quieckte erschrocken und schämte sich umgehend, denn es hatte geklungen wie der Aufschrei eines Dackels, dem versehentlich auf den Schwanz getreten worden war. Er war weder ein Dackel noch war ihm jemand auf den Schwanz getreten und infolgedessen bereute er, so geklungen zu haben. Pieter stand wutentbrannt und mit geballten Fäusten in der Zimmertür und schaute wütend auf eine kleine Albino-Ratte, die er, Wönkelmeyer, offenbar beim unachtsamen Hinsetzen auf dem Sofa eingeklemmt hatte.
"Oh, das arme Vieh, das wollte ich nicht!", beteuerte Wönkelmeyer und sprang in Windeseile auf.
Das arme Tier war, nachdem es Wönkelmeyers Hintern nur knapp hatte entkommen können, panisch pfeiffend zu Pieter gerannt, der seinen kleinen weißen Schützling liebevoll auf seinem Handrücken parkte. Der kleine kugelrunde Drogenpieter versorgte sein widerliches Haustier mit einer sachten Bauchfellmassage - liebevolle Zuwendung, um Milchi wieder aufzupäppeln.
"Hast du ein Glück, Huhn! Er kommt durch!"
Grimmig blickte der noch sichtbar angekratzte kleine fette Junge zum eingeschüchterten Wönkelmeyer.
"Ähm, weißt du Pieter, ich, ich..."
RIIIING – die Türklingel durchbrach wie der Schrei des Teufels die Stille.
"Das wird Ingo sein, mach mal auf, Huhn, du Tierquäler",
kommentierte Pieter das Schellen der Klingel.
Wönkelmeyer tat wie ihm geheißen und trottete er zur Wohnungstür. Er öffnete einem hageren Glatzkopf mit schiefen Zähnen.
"Hä, wer bist du denn?! Ach so, du musst Wönkelmeyer sein! Pieter hat mir schon viel von dir erzählt. Ich bin Ingo, aber meine Freunde nennen mich einfach kurz H.I.V. Das sind meine Initialen, die für Hortwin Ingo Vleyscher stehen. Is do' juut, o'er?"
Erst das Malheur mit der Ratte und nun dieser gruselige Typ. Wönkelmeyer frug sich, wo er bloß gelandet sei so langsam ging ihm der Hut hoch.
"Stimmt was nicht, Wönkelmeyer?", fragte Ingo, während er sich die Füße auf der Fußmatte abtrat.
"Ob was nicht stimmt?! Ich frage mich, was Du Mittfünfziger hier mit Pieter zu schaffen hast. Der Junge ist 12 und hat mich hier schlafen lassen, aber wenn Du der Sucker bist, der ihn hier die Drogen bewachen lässt, dann haben wir ein Problem hier"
"Hahaha! Ein Zwölfjähriger?! Pieter ist 29. Der Bursche erzählt liebend gern überall rum, er sei 12. Findet er offenbar komisch. Ist auch nicht unpraktisch, wenn die Bullen ihm den Schitt abkaufen. Die lassen Pieter ziehen, wenn er klaut oder sonst einen Scheiss abzieht. Die kurzen Extremitäten und das dickliche, puttenhafte Babyface erweisen ihm hier wertvolle Dienste. Die meisten Leute glauben ihm den Schitt daher tatsächlich, aber…“
"Ingo, Huhn, verschiebt die Begrüßungszeremonie, wir bekommen Besuch!", schrie plötzlich der am Wohnzimmerfenster stehende Pieter, der sich bereits mit einigen Vogelschrecks und einer Pumpgun bewaffnet hatte.
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