K a p i t e l Z w a n z i g

Die Scheiben des silbernen Golf Variant waren inzwischen leicht beschlagen. Heuber wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und entschloss sich, das Thema noch einmal anzusprechen.

"Karsten, nun lass uns doch das Fenster öffnen, es ist brüllend heiß hier"

"Mann Gerwin, dann öffne es halt kurz einen Spalt. Bevor Du hier alles vollschwitzt"

Gerwin Heuber war froh und stolz über das Erreichte. Auch Kleinvieh macht Mist. Er fuhr das Fenster einen Spalt herunter und es strömte frische Luft herein.

"Es zieht! Mann, ich krieg Bindehautentzündung hier!"

Heuber wusste nicht was eine Bindehaut war und woher Hufnagels ständige Angst vor deren Entzündung kam. Ihn nervte auch die bossige Art seines Kollegen.

"Jetzt kurbel das Scheißfenster hoch, los! Mir platzt hier gleich das Törtchen!"

Aus irgendeinem Grund war Heuber schon dabei, dem Befehl nachzukommen, obwohl er sich das eigentlich nicht gefallen lassen wollte.

"So, da kommen die beiden. Unser belgischer Haubentaucher und Fräulein Pferdegesicht. Die beiden sind ja kreidebleich. Wenn sie an der zweiten Laterne sind, lässt du den Motor an, dann fahren wir zu Merz"

"Ja, ist auch Zeit. Aber hoffentlich schlägt Merz Dich nicht wieder so furchtbar zusammen"

"Was redest Du denn da für einen Unfug. Er hat mich nicht zusammengeschlagen!"

"Ich war doch dabei. Er hat Dich an der Gurgel gepackt, hochgehoben und erstmal schön baumeln lassen, und dann hat er Dich aufs Parkett geknallt. Slam!"

"Sehr witzig. Genau so entstehen Gerüchte. Wie es in Wahrheit gewesen ist, interessiert ja niemanden mehr, wenn Lügenbarone wie Du einer bist, solche Räuberpistolen aus der Hüfte ballern"

"Karsten, wie ist es denn Deiner Erinnerung nach gewesen?"

"Meine Erinnerung, Gerwin, entspricht der Realität, denn ICH geile mich NICHT daran auf, den Ruf eines großzügigen und vorbildlichen Kollegen zu besudeln. Für mich ist das Wörtchen Wahrheit ein wirklicher Wert und keine Lachnummer, Gerwin. Ich..."

"...ja, sicherlich, Karsten. Darum konntest Du mir auch vorhin keinen Kaugummi abgeben, weil Du ja keinen mehr hattest. Tsja, leider habe ich zufällig mitgezählt, Du hast seit 15 Uhr drei Doublemints eingeworfen"

"Ach! DAS ist es also, worum es Dir geht! Du Armer hast nicht genug Kaugummis bekommen, darum denkst Du Dir jetzt diese Gruselgeschichte mit Merz aus, der mich grün und blau geschlagen haben soll! Wenn man so einen Kollegen hat, Gerwin, dann braucht man keine Feinde mehr!"

Hufnagel hatte diese merkwürdige Eigenschaft, seine Erinnungen zu korrigieren und sich dabei selbst zu glauben. Heuber stand das Wort nicht in der gleichen Weise zur Verfügung und Diskussionen waren ohnehin nicht sein Ding, zu anstrengend. Er schwieg und lenkte den Golf über die Wannseebrücke.

"Diesmal lässt Du mich rapportieren, Gerwin. Damit wir nicht wieder in Schwierigkeiten kommen, hörst Du?"

"Ja, mach das mal ruhig Du"

Bis sie in die Kieseinfahrt der Villa Herz bogen, in der Merz das Hauptquartier der Militärpolizei eingerichtet hatte, schwiegen sich die beiden an. Die alten Treppenstufen knarzten unter ihren Schachtstiefeln. Hufnagel klopfte dreimal an der schweren Doppeltür zum Büro des Polizeipräsidenten.

"Herein!"

"Hufnagel und Heuber zum Rapport, Herr Polizeipräsident"

"Was Sie nicht sagen. Heuber, Rapport"

"Wir verfolgten Zielperson 1 von dessen Wohnung in der Uferstraße, Wedding, zur Drucke am Mexikoplatz, wo Zielperson 2 wartete. Gemeinsam gingen sie, von uns durchgehend gefolgt, in Richtung Krumme Lanke bis zur Nr. 30, der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. Mohsen Ahmadi. Eintritt 9:45, Austritt 17:30"

"Beide käseweiss, Herr Polizeipräsident"

"Hufnagel, Sie sollen die Schnautze halten, Sie Sauhund! Sonst knall ich Ihnen meine Peitsche auf ihren schwachsinnigen Schädel! Heuber, waren Auffälligkeiten sichtbar?"

"Die beiden waren auffällig bleich"

"Interessant, Heuber. Gute Beobachtung. Wenigstens einer macht seine Arbeit"

"Jetzt Sie, Hufnagel, haben Sie irgendetwas hinzuzufügen?"

Merz kam dicht an Hufnagel heran, sein verkrampfter großer Mund mit den fleischigen Lippen stand offen und aus ihm strömte Hufnagel ein scharfer Sardinengeruch entgegen.

"Der Belgier führte den Diplomatenkoffer wieder bei sich, den er gestern Abend dorthin mitgenommen und dort gelassen hatte. Wahrscheinlich zur anwaltlichen Durchsicht von im Koffer befindlichen Dokumenten. Diese Dokumente könnte der Belgier bereits in dem Koffer gehabt haben als er in die iranische Botschaft ging, oder er hat sie dort erhalten und zum Anwalt gebracht. Der Belgier führt irgendetwas im Schilde, die Rolle seiner Mitarbeiterin ist noch unklar"

"Passabel Hufnagel, passabel. Heuber, die Kloppse waren hervorragend, sagen Sie das Ihrer Frau ruhig. Das waren dolle Kloppse. Wegtreten und bringen Sie mir den Belgier mit seinem Koffer morgen um 16 Uhr vorbei"

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