K a p i t e l F ü n f z e h n
- Nino Angelotti
- Feb 11, 2015
- 4 min read
Wönkelmeyer klopfte zweimal kurz an der Tür. Nichts. Er wartete, dann klopfte er nochmals. Wieder nichts. Er dreht sich um und schaute Megdi fragend an. Nickend gab sie ihm zu verstehen er solle reingehen.
"Hallo?"
Der Professor stand vor dem bis zur Decke reichenden Bücherregal. Ohne aufzuschauen wies er Wönkelmeyer an, Platz zu nehmen, indem er ihm mit seiner knochigen Hand entgegenwedelte. Vielleicht hat er die Zeit verloren beim Lesen, der Vogel. Die weit hochgezogenen Kordhosen ließen den Professor noch größer wirken, als er ohnehin schon war. Sie wurden oben in Bauchnabelhöhe von einem zu langen Gürtel gehalten und sackten unten müde auf ausgetretene braune Wanderstiefel.
"Ja ja ja ja ja ja"
Wönkelmeyer hatte keinen Ton von sich gegeben. Er schaute fragend zum Professor, der noch immer in seine Lektüre vertieft war, nun aber - den linken Arm in die Hüfte gestützt und mit der rechten das schwere Buch haltend - langsam den Kopf hin und her bewegte, so als schwankte er zwischen Zustimmung und Ablehnung dessen, was ihn so zu fesseln schien.
"F a b e l h a f t, das ist ja f a b e l h a f t"
Seine Gesichtszüge hellten auf, er lächelte zufrieden und schlug das Buch zu, drehte sich um, rückte es in die etwas zu enge Lücke des Bücherregals, wobei er seinen Hintern langsam und spielerisch von links nach rechts bewegte.
"Und nun zu Ihnen, Wönkelmann"
Er ging am Bücherregal entlang in langsamen großen Schritten in die Tiefe des schlauchförmigen Büros, um sich ganz am anderen Ende hinter den kleinen Schreibtisch zu zwängen, auf dem sich Kladden, Bücher und Zeitschriften stapelten. Aufgrund der Entfernung sah der Professor, von Wönkelmeyer aus betrachtet, nun normal groß aus.
"Ich war letztens vielleicht ein wenig grob zu Ihnen. Sehen Sie es mir nach. Nach all den Jahren, die Sie jetzt schon für mich arbeiten sollte ich Ihnen ein wenig Beinfreiheit gewähren. Wie kommen Sie denn mit Ihrer Dissertation voran, leiten Sie mir doch ruhig mal einen Entwurf zu, wenn Sie mögen"
Wönkelmeyer zögerte. Verwechselt der mich? Er muss mich verwechseln.
"Überlegen Sie es sich einfach. Heute wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die Journale dort drüben durchsehen könnten und dann gemeinsam mit Megdi den ungarischen Gänse-Sajtot aus dem Kühlfach holen. Es gibt etwas zu feiern"
Er nickte wohlwollend und Wönkelmeyer sah den kantigen Adamsapfel im langen Hals des Professors hoch und runterfahren. Gänse-Sajtot. Er schnappte sich die Journale und verließ das Büro als Megdi ihm aus der Küche entgegenkam.
"Was stinkt denn da so widerlich im Kühlschrank?"
"Das wird der Gänse-Sojtat vom Professor sein"
Sie setzten sich an den Schreibtisch und begannen zu arbeiten. Von Zeit zu Zeit trafen sich ihre Blicke und sie lächelten sich verlegen zu. Er fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr und hätte unter diesen Umständen gerne unbezahlte Überstunden drangehängt, doch dazu kam es nicht, denn der Professor kam händereibend und strahlend aus seinem Büro gelaufen.
"So, dann wollen wir mal anstoßen, wo ist der Gänse-Sojtat?"
"Kommt sofort" Wönkelmeyer und Megdi liefen in die Küche. Es war sehr eng und Wönkelmeyer genoss die Nähe zu ihr so, dass er am liebsten laut aufgelacht hatte - das ließ er aber lieber. Immerhin, er war sich ganz sicher, dass es zwischen ihnen knisterte. Heute frag ich sie, ob sie mit mir was trinken geht nach der Arbeit.
"Kannst Du das stinkende Zeug nehmen? Dann nehm ich den Sekt"
"Null Problemo, Megdi"
Der Professor wartete schon voller Vorfreude und schob sich als erster ein großes Stück des übelriechenden, grün-bräunlichen Käses in den Mund. Man sah, wie er es genoß.
"Das ist ein edler, edler Käse"
Wönkelmeyer tat der Professor richtig leid, der sich hier solche Mühe gemacht und geglaubt hatte, seinen beiden Mitarbeitern eine große Freude zu machen.
"Nehmen Sie doch vom Sajtot"
Wönkelmeyer nahm sich ein Stück und steckte es schnellstmöglich in den Mund, bloß vorbei an seiner Nase. Auch seine Zunge versuchte auszuweichen, doch er zwang sie tief in den Käse, um es schnell hinter sich zu bringen. Tränen stiegen ihm in die Augen und sein Magen zog sich zusammen vor Ekel.
"Sie auch, Megdi, langen Sie zu"
"Leider muss ich passen, Laktoseunverträglichkeit"
Was? Wieso bin ich darauf nicht gekommen?!
"Ach nein, wie schade. Dann nehmen Sie doch von den belgischen Pralinen, die hab ich für meinen Sohn Björn besorgt, der gleich hier sein wird. Ist auch laktoseunverträglich. Und ab heute zertifizierter Mentalcoach! Das feiern wir!"
Der Professor schob sich ein weiteres Stück Gänse-Sajtot in den Mund und reichte Wönkelmeyer noch ein Stück des edlen Käses. Wönkelmeyer lief es kalt den Rücken herunter, der Käse war nass und hatte kleine, weiche Haare. Ihm war übel, sehr übel. Die süssliche, faul schmeckende Gülle in seinem Mund schien sich zu vermehren, egal wieviel er herunterschluckte. Als es klingelte nahm Megdi die Gelegenheit wahr, dem Käsegestank zu entkommen und lief zur Tür. Es war Björn, der sich im engen Flur nun mit Megdi unterhielt. Wönkelmeyers Hals zog sich zusammen und er hustete, wobei ein Stück Sajtot zwischen Nase und Rachen gelangte. Es brannte und er spürte, dass er Panik bekam. Vor ihm stand der Professor, der sich genüsslich ein weiteres Stück in den Mund schob und mit der Zunge schmatzend über die fettig glänzenden Lippen fuhr.
"Edler Sajtot, lecker"
Aus dem Augenwinkel sah Wönkelmeyer Björn und Megdi miteinander sprechen, dann verlor er das Bewusstsein.
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