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K a p i t e l V i e r

  • Nino Angelotti
  • Feb 8, 2015
  • 2 min read

Foissel war nicht größer als 1,61m, auch unter den Belgiern zählte er damit zum kleinsten Drittel. Die geringe Körperhöhe war jedoch nicht sein markantestes Merkmal. Er war schmal gebaut, aber dicklich im Gesicht und um die Hüften. Seine schwarzen Locken rankten sich wie Efeu eng anliegend um seinen Kopf und verdeckten seine Ohren vollständig. Diese haubenartige Frisur betonte sein Gesicht, in dessen Mitte sich eine winzige Knollnase gegen zwei chronisch füllige Tränensäcke behauptete. Seine Lippen waren auffallend schmal und bewegten sich selten, da Foissel ein stiller Mann war, der – wenn möglich – Schriftverkehr vorzog. Sein Vater Pascalle war Schneider in Antwerpen gewesen, von ihm hatte Foissel seinen überlegten Kleidungsstil geerbt. Er trug nur maßgeschneiderte Dreiteiler, immer grau, mit einem blütenweißen Hemd und stets einer grünen Fliege, deren Farbton er wochentäglich von hell nach dunkel wechselte.

Foissel beobachtete wie die Passanten durch den Regen hasteten, unruhig und ängstlich nass zu werden. Das große Ladenfenster war gestern erst geputzt worden, er mochte es aufgeräumt und sauber. Er hatte den Laden vor sieben Jahren übernommen, nachdem der damalige Inhaber verhaftet worden war. Rahnemann Ködrich hatte den Laden direkt nach dem Krieg aufgemacht und zu einer bekannten Adresse in Schlachtensee gemacht. „Wenn Karten, dann Ködrich“ war ein geflügeltes Wort in der guten Gesellschaft und man zahlte die teuren Preise für individuelle Einladungen gerne. Handgeschnitten und kunstvoll bemalt, auf diese Karten hatte Rahnemann Ködrich ein Monopol gehabt. Was das Motiv anbetraf, hatten die Kunden ihm völlig freie Hand gelassen, denn

seine Karten waren eine so taktvoll-klassische Verneigung dem Gast gegenüber, wie sie geschmackvoller als Ködrich niemand hätte zustande bringen können. Kurz nachdem die Polizei den alten Kartenmacher mitgenommen hatte, war Foissel auf den schönen Laden aufmerksam geworden und hatte Erkundigungen angestellt. Er hatte Ködrich an einem Donnerstag in Moabit besuchen wollen, um ihm eine Partnerschaft vorzuschlagen, doch dazu kam es nicht mehr. Rahnemann Ködrich wurde an jenem Donnerstag erhängt in seiner Zelle aufgefunden.

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