K a p i t e l F ü n f
- Nino Angelotti
- Feb 8, 2015
- 2 min read
Das Büro des Professors war unterkühlt, höchstens 17 Grad. Für Wönkelmeyer zu kalt, nach dessen Theorie der thermischen Balance, die er seit der dritten Klasse überzeugt vertrat, der Körper nur dann zur völligen Entspannung gelangen kann, wenn innere und äußere Temperatur einander entsprechen. Demnach lag die optimale Außentemperatur bei etwa 36 Grad Celsius.
Als Wönkelmeyer eintrat, ließ der hochgewachsene, hagere Mann am anderen Ende des schlauchartigen Raums demonstrativ seinen Stift auf die Schreibtischfläche fallen. Alter, ich bin 2 Minuten zu spät, ich kenne dasTheater, komm schon, frag mich wieder, ob ich eine Uhr habe.
„Sie haben keine Uhr, oder?“
„Doch, bitte entschuldigen Sie…“
„Das tue ich nicht, nein“.
Der Professor lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück, während seine spröden Mundwinkel nach unten sanken. Sein Adamsapfel stand kantig aus dem langen Hals hervor und erinnerte Wönkelmeyer an die ungarischen Gänse-Sajtot, über die er eine Reportage gesehen hatte. Dabei handelte es sich um einen speziellen Käse, der seinen besonderen Geschmack einer mehrwöchigen Reifung in einem Gänsehals verdankte. Wönkelmeyer erinnerte sich an die Bilder besonders gut, denn er hatte die Ungarn bis dahin weder mit Käse noch mit Gänsen in Verbindung gebracht. Die Ungarn sind eben auch nicht von gestern.
„Wie lange sind Sie jetzt bei mir, 2 Jahre, 3 Jahre?“
„Seit knapp 5 Monaten…“
„Und wie oft habe ich Ihnen in dieser Zeit gesagt, dass ich Pünktlichkeit schätze?“
„Das haben Sie schon öfters mal…“
„Ja, habe ich. Aber Ihnen ist es offenbar völlig schnurz. Was soll ich davon halten? Ich meine, am Anfang war es einfach nur unhöflich, als es dann nicht besser wurde, habe ich Sie für dämlich gehalten, für einen Idioten, aber inzwischen …“
„Es tut mir wirklich leid, es waren allerdings diesmal auch nur 2 Minuten“
„Reden Sie es klein? Sagen Sie mir nicht, dass Sie es klein reden, das wagen Sie nicht, es klein zu reden!“
„Nein, ich wollte nur…“
„WÖNKELMEYER! Sie können von Glück reden, dass der Björn Sie mag, sonst würde ich Sie heute wieder einmal feuern! Wenn der Björn Sie nicht so schätzen würde. Sie nehmen sich jetzt die Journale dort drüben und sehen Sie durch, und wenn Sie damit fertig sind, dann holen Sie den Björn ab und danken ihm einmal mehr dafür, dass er Sie mag! Und schicken Sie mir die Megdi rüber, aber bitte ohne sie zu vergraulen, Sie Rübezahl.“
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