K a p i t e l E l f
- Nino Angelotti
- Feb 7, 2015
- 3 min read
Sie bogen von der Prinzenallee in die Soldiner Straße. Gegenüber beim Penny gab es Ärger, die Sicherheitsleute brachten einen Betrunkenen mit blutender Nase aus dem Einkaufsparadies. Er schrie, war aber nicht zu verstehen. Armes Schwein, Wönkelmeyer frug sich, welcher Idiot dem armen Teufel ins Gesicht geschlagen hatte?
Björn kriegte das gar nicht mit, denn er war in Gedanken schon mit Megdi im Autokino, Pony füttern und alles.
Sie überquerten die Panke, vorbei an den Pennern, unter anderen Schmiedekamp, der Vorlauteste unter ihnen. Um diese Uhrzeit waren die Penner völlig erschöpft, weil sie den Vollsuff vom frühen Nachmittag ausdunsten ließen, bevor die Nacht hereinbrach. Die Nächte in der Soldiner Straße waren anstrengend, hier galten nicht nur die Gesetze des Staates wenig, auch die Gewohnheiten der bürgerlichen Gesellschaft - tagsüber wach sein und nachts schlafen - waren aufgehoben. Die Bewohner lebten ihren eigenen Rythmus. Erwachsene, Jugendliche und Kinder hielten sich nachts auf den Bürgersteigen auf und schliefen am Tag, hier und da, nie zusammenhängend, was sie latent aggressiv machte. Und das bekamen die Penner zuerst zu spüren. Es war keine Seltenheit, dass sie von Jugendlichen zusammengeschlagen wurden.
Wönkelmeyer und Björn versuchten nicht zu spät und immer zu zweit nach hause zu kommen, denn sie waren beide keine Eingeborenen und machten sich berechtigte Sorgen.
Nummer 71, Vorderhaus, rechter Flügel, sie waren angekommen. Im ersten Stockwerk schloß Björn seine Tür auf.
"Morgen um 9, dann"
"Gut, Björn"
"Nur nach vorn"
Wönkelmeyer stieg die Treppen hinauf, er musste in den vierten Stock. Er nahm die letzten Stufen und hörte hastige Schritte auf dem nächsten Treppenabsatz zum fünften Stock. Vor seiner Tür angekommen kam ihm ein kleiner dicker Junge von oben entgegen und schaute ihn an.
"Wohnst Du hier?"
"Ja, ich wohne hier, bin vor zwei Monaten eingezogen"
Wönkelmeyer war sich nicht sicher, wie er dem kleinen Fettsack begegnen sollte, der hier gerade ganz offensichtlich von seiner Tür nach oben geflüchtet war. Sei besser vorsichtig, Kleinfetti wohnt sicher nicht alleine hier. Der Kleine stand vor Wönkelmeyer und machte keine Anstalten weiterzugehen. Wönkelmeyer drehte sich zur Tür und schloss auf, doch der Junge blieb stehen und schaute neugierig in die Wohnung.
"Kann ich Dir irgendwie helfen?"
"Ich hab Durst und will fernsehen, hab mein Schlüssel vergessen"
Was tun? Wönkelmeyer war neugierig, denn bisher hatte er mit den Eingeborenen keinen Kontakt gehabt.
"Ok, halbe Stunde kannste reinkommen"
"Ja gut" und schon war der Junge in der Wohnung.
"Schuhe aus"
Wortlos glitt der Dicke aus seinen viel zu kleinen, ausgebeulten Airmax und bog nach rechts direkt in die Küche ab, wo er sogleich nach Gläsern suchte.
"Oben links"
"Was hast Du, hast Du Cola, ich will Cola trinken"
"Nein, ich habe aber Orangensaft"
"Ok, gib mir"
Wönkelmeyer fand den Bengel unhöflich, beinahe frech, andererseits schaute der Kleine ihn völlig unschuldig an. Er war unförmig, sein Hintern war breiter als die Schultern, wie ein Tannenbaum. Er sah nett aus, wie eine Mischung aus kleinem Jungen und kleinem Erwachsenen. Irgendwie sah er aus wie ein kleiner Bürgermeister. Wönkelmeyer fragte sich, was der Bursche an seiner Tür zu suchen gehabt hatte.
"Fernseher steht da hinten im Wohnzimmer" und schon war der Kleine auf dem Weg dorthin.
"Wie heisst Du denn eigentlich?"
"Pieter. Und Du?"
"Faridun. Faridun Wönkelmeyer"
"Ok"
Sie gaben sich die Hand und Pieter verschwand in Richtung des Fernsehers. Eine Dreiviertelstunde später fand Wönkelmeyer ihn schlafend auf dem Sofa. Er weckte ihn auf und bat ihn nun zu gehen.
"Ja ok. Bis morgen"
***
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